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Zur Entwicklung des Taschenrechners minirex 73 in Erfurt

von Stephan Hloucal

Das Vorbild: Der japanische Taschenrechner Busicom Handy LE-120A

Aus heutiger Sicht es kaum nachvollziehbar dass die volkseigenen Betriebe in der DDR über ihre Forschungs- und Entwicklungsvorhaben oft nicht, oder nur eingeschränkt, selbst bestimmen konnten. Viele Vorhaben wurden vom zuständigen Minister oder dem Zentralkomitee der SED direkt angeordnet.

Innenansicht des japanischen Taschenrechners Busicom Handy LE-120A
Innenansicht des japanischen Taschenrechners Busicom Handy LE-120A mit IC von Mostek.

So auch bei der Entscheidung des Ministers für Elektrotechnik und Elektronik Otfried Steger welcher am 4. Februar 1972 dem Kombinatsdirektor des VEB Kombinat Funkwerk Erfurt (K-FWE) einen von einer Regierungsreise aus Japan mit gebrachten Taschenrechner vom Typ Busicom Handy LE-120A übergab. Das Funkwerk Erfurt sollte eine Analyse durchführen und prüfen unter welchen Voraussetzungen die Entwicklung und Produktion eines elektronischen Kleinstrechners möglich wäre.

Mit dem Busicom Handy LE-120A lag das damals weltweit innovativste Produkt aus japanischer Fertigung auf dem Tisch einer Expertengruppe aus den Betrieben:

  • Robotron
  • Kombinat Zentronik
  • Werk für Fernsehelektronik Berlin (WF)
  • Funkwerk Erfurt

Der 1971 auf dem japanischen Markt erschienene Taschenrechner, war der erste mit einem einzigen Rechner-Schaltkreis, dem MK6010 in MOS LSI - Technologie von der US-amerikanischen Firma Mostek, sowie einer LED - Siebensegmentanzeige. Für die damalige Zeit war er unglaublich klein und kompakt und passte tatsächlich in eine Westentasche was anderen Herstellern seinerzeit noch nicht gelang. Er beherrschte die vier Grundrechenarten und verfügte über eine 12 stellige Anzeige.

Der Plan

Für die Herstellung eines solchen Kleinstrechners war in der DDR keinerlei Basis vorhanden, denn es fehlte sowohl an Miniaturschalter, Tastatur, Miniaturkondensatoren, den Festkörper - Anzeigebauelementen, als auch an den Rechner- und Anzeigeansteuerungs - Schaltkreisen. Das alles musste innerhalb kürzester Zeit im Rahmen von Staatsplanaufgaben neu entwickelt werden. Bereits am 11. Februar 1972 wurde dem Minister für Elektrotechnik und Elektronik eine erste Einschätzung zur Realisierbarkeit eines elektronischen Taschenrechners vorgelegt.

Innenansicht des japanischen Taschenrechners Busicom Handy LE-120A
Der japanischer Taschenrechner Busicom Handy LE-120A (links) und ein Gestaltungsmuster des minirex 73 aus der DDR (rechts). [1]

In kürzester Entwicklungszeit sollte ein Taschenrechner zunächst mit Importbauelementen hergestellt werden, die dann bis 1974 aus Eigenaufkommen ersetzt werden sollten.

Einbezogen waren die Betriebe:

  • VEB Robotron Karl-Marx-Stadt
  • VEB Werk für Fernsehelektronik Berlin (WF)
  • VEB Elektronische Bauelemente Gornsdorf
  • VEB Röhrenwerk Neuhaus
  • VEB Carl Zeiss Jena
  • VEB Pentacon Dresden
  • Arbeitsstelle für Molekularelektronik Dresden (AMD)
  • VEB Funkwerk Erfurt (FWE)
  • VEB Röhrenwerk Mühlhausen

Am 15. April 1972 nahm im Funkwerk Erfurt ein Entwicklerkollektiv seine Tätigkeit auf. Die Ministervorlage mit der Konzeption, den Zielstellungen und Terminen für die Ablösung der Importbauelemente durch Eigenprodukte innerhalb von zwei Jahren, sowie aller zur Realisierung benötigten Mittel, Investitionen und Importbauelementen, wurden am 10. Mai 1972 von Minister Otfried Steger bestätigt.

Gleichzeitig wurde der Generaldirektor des Kombinat Funkwerk Erfurt zum Gesamtverantwortlichen für Entwicklung und Produktion des Taschenrechners minirex 73 benannt. Für die Entwicklung einer Symbolanzeige wurde das WF - Berlin beauftragt. Der Produktionsdirektor des Funkwerk Erfurt zeichnete verantwortlich für die Entwicklung des Taschenrechners und für die Serienproduktion des Gerätes wurde das Röhrenwerk Mühlhausen festgelegt.

Vom Texas Instruments TMS0105NC zum Funkwerk Erfurt U820D

Integrierter Schaltkreis (IC) vom Typ U820D aus dem Funkwerk / Mikroelektronik Erfurt
Halbleitertechnik
Funkwerk Erfurt / Mikroelektronik Erfurt
DDR
ca. 1975
Integrierter Schaltkreis (IC)
U820D

Für den Minirex - Taschenrechner entschied man sich für die Nachentwicklung des Rechner - Schaltkreises TMS0105NC von Texas Instruments, da dieser in vielen Taschenrechnermodellen auf dem internationalen Markt erfolgreich eingesetzt wurde. Diese Nachentwicklung wurde U820D genannt.

Der Zyklus 1 für die Entwicklung des U820D sollte von der AMD übernommen werden, Zyklus 2 und 3 sowie die Serienproduktion sollten im Funkwerk Erfurt erfolgen.

Wafer mit Schaltkreis U820D aus der DDR
Halbleitertechnik
Funkwerk Erfurt / Mikroelektronik Erfurt
DDR
ca. 1975
Integrierter Schaltkreis (IC)
U820D
36 mm Wafer

Die Schaltkreisentwickler im Funkwerk Erfurt hatten sich erfolgreich dagegen gewehrt, auch den Zyklus 1 für den Rechnerschaltkreis zu realisieren, da sie damals bereits mit der Entwicklung des Mikroprozessors U808D ausgelastet und froh waren, dass das AMD sich mit der Analyse des etwas anspruchsvolleren TMS0105NC zu beschäftigen hatte.

Auf dem 36 mm² großen Chip des TMS0105NC waren etwa 6.000 Transistoräquivalente realisiert. Der im April 1972 auf dem internationalen Markt erschienene Intel 8008, das Vorbild für den U808D, war dagegen mit etwa 3.500 Transistoren vergleichsweise übersichtlicher strukturiert.

International war es durchaus nicht ungewöhnlich Taschenrechner mit Bauelementen herzustellen die auf dem Weltmarkt gekauft wurden. Da für die DDR damals jedoch internationale Importbeschränkungen (COCOM) für Produkte der Hochtechnologie galten war man gezwungen die benötigten Bauelemente selbst zu entwickeln.

Bevor der U820D, die LED-Anzeigen und die Treiberschaltkreise aus eigener Produktion in entsprechenden Stückzahlen zur Verfügung standen, musste die laufende Produktion zunächst mit Bauelementen abgesichert werden die nur über kreative Handelsaktivitäten unter Umgehung der Embargo - Bestimmungen möglich waren. [2]

In der Serienfertigung des minirex 73 sowie dessen Nachfolger minirex 74 wurden daher zunächst noch Schaltkreise vom Typ TMS0105NC von Texas Instruments verwendet. Erst 1975 ab der Fertigung des Models minirex 75 wurde der U820D aus eigener Produktion eingesetzt.

Die Entwicklung des minirex 73

Um den internationalen Anschluss nicht zu verlieren, musste die sonst übliche Geräteentwicklungszeit von 20 auf 5 Monate verkürzt werden, sodass bereits am 20. Juni 1972 ein erstes Labormuster funktionsfähig war. Einen Monat später waren sämtliche elektrische Unterlagen und bis zum 10. August 1972 alle Typprüfungen und die DAMW - Begutachtung vorgelegen.

Labormuster des Taschenrechners minirex 73 aus der ehemaligen DDR
Labormuster des Taschenrechners minirex 73.

Alle für die Fertigungsvorbereitung notwendigen technologischen Unterlagen, wurden am 30. August 1972, an das Röhrenwerk Mühlhausen zur Vorbereitung der dortigen Fertigung übergeben. Die äußere Form des Rechners hatte das Atelier für Formgestaltung Karl Marx Stadt gestaltet. Die Verteidigung des Entwicklungsthemas minirex 73 fand am 20. September 1972 statt, bei der auch die ersten 10 Funktionsmuster übergeben wurden.

Aus Gründen einer antroprometrisch (Lehre der Ermittlung und Anwendung der Maße des menschlichen Körpers, vgl. Ergonomie) richtigen Eingabe und um das sogenannten Blindrechnen zu ermöglichen, hatten sich die Entwickler für ein größeres Tasteneingabefeld entschieden als es beim Busicom LE-120A der Fall war. Damit trafen sie den Trend anderer westlicher Hersteller von Taschenrechnern die nur die vier Grundrechenarten beherrschten.

Taschenrechner minirex 73 aus dem Röhrenwerk Mühlhausen
Rechentechnik
Röhrenwerk Mühlhausen
DDR
1973
Taschenrechner
minirex 73
Seriengerät im überlieferten Gebrauchszustand

Da zu Beginn der 1970er Jahre in der DDR noch keine NiCd Akkumulatoren im R6 - Format (heutiges AA Format) verfügbar waren entschied man sich zum Einsatz von NiCd - Knopfzellen (1,2 V, 225 mA) aus dem VEB Grubenlampenwerk Zwickau (GLZ). Zudem verwarf man die Verwendung von R6 - Alkali - Batterien, weil diese damals nur im westlichen Ausland hergestellt wurden und wegen des relativ hohen Stromverbrauchs des Rechners nach etwa 10 Betriebsstunden hätten gewechselt werden müssen. Da man zunächst vorrangig den Rechnereinsatz im ständigen Büroeinsatz im Blick hatte wurde ein spezielles Netzteil entwickelt in welches der Taschenrechner eingesteckt und die NiCd - Akkus zur Verlängerung ihrer Lebensdauer abgeschaltet wurden.

Die Nullserienfertigung des minirex 73 sollte im März 1973 im Röhrenwerk Mühlhausen starten. Geplant war die Produktion von 2.000 Stück im Jahr 1973, 1974 sollten 10.000 Stück und im Jahr 1975 25.000 Stück produziert werden. Der Weltöffentlichkeit vorgestellt wurde der minirex 73 auf der Leipziger Frühjahrs - Messe 1973.

Zur gleichen Zeit in Westdeutschland

Taschenrechner Multiplus von FG Elektrogeräte
Rechentechnik
FG Elektrogeräte - Dipl.-Ing. Franz Grigelat
BRD
1972
Taschenrechner
Multiplus
Gerät auf Basis des ICs TMS0105NC. Bausatz, Verkaufspreis 339 DM.

Doch auch in Westdeutschland wurden zu jener Zeit Taschenrechner entwickelt und produziert. In der westdeutschen Elektronikzeitschrift Funkschau, die zumindest an DDR-Hochschulen, der Deutschen Bücherei in Leipzig und in einigen Betrieben verfügbar war, wurde im August 1972 der Selbstbau eines Taschen- und eines Tischrechners mit dem Rechnerschaltkreis TMS0105NC von Texas Instruments veröffentlicht [3].

Taschenrechner ARisto M27 von Dennert & Pape Hamburg
Rechentechnik
Dennert & Pape Hamburg
BRD
1972
Taschenrechner
Aristo M27
Gerät auf Basis des ICs TMS0105NC

Ab September 1972 verkaufte die in der Nähe von Nürnberg ansässige Firma FG Elektrogeräte (Dipl.-Ing. Franz Grigelat) einen Bausatz für den Taschenrechner Multiplus zum Preis von 339 DM, auf Basis des TMS0105NC [4]. Im Oktober 1972 brachte die Hamburger Firma Dennert & Pape den Taschenrechner ARISTO M27, ebenso mit dem TMS0105NC, aus eigener Serienfertigung, auf den Markt [5][6].

Resumee

Ganz so weit weg vom Weltstand waren die Funkwerk - Entwickler nicht, auch wenn der minirex 73 doch nicht so recht in eine Westentasche passen mochte.

Das sozialistische Kollektiv Taschenrechner minirex 73 erhielt für seine vorbildliche Entwicklungsarbeit den Orden Banner der Arbeit. Der minirex 73 war mit einer der ersten in Deutschland hergestellten Taschenrechner.

Quellen

  • [1] Vorschlag zur Auszeichnung des sozialistischen Kollektivs Taschenrechner Minirex 73 mit dem Orden Banner der Arbeit, Mappe Funkwerk Erfurt, 1972
  • [2] Zeitzeugengespräche, 2018
  • [3] Funkschau, Jahrgang 1972, Heft 16 und 17
  • [4] Technische Informationen Taschenrechner Multiplus, FG Elektrogeräte, September 1972
  • [5] Dennert & Pape ARISTO 1872 - 1978, Zuckschwerdt Verlag, München, 2004
  • [6] Collectors Guide to Pocket Calculators, Wilson / Barnett Publishing, Tustin, USA, 1997

Weiterführende Links

Mehr informationen über Taschenrechner aus der Produktion des Röhrenwerk Mühlhausen finden Sie auch in unseren Newslettern.